Gerichtsverhandlung im Landgericht Mannheim

Am Montag, dem 6.3.06, besuchte ich mit meiner Klasse 11c und unserer Gemeinschaftskundelehrerin Frau Laier das Landgericht Mannheim, um einem Prozess beizuwohnen, in dem der 40-jährige Italiener Massimo I. wegen Verstoßes gegen das BtmG (Betäubungsmittelgesetz) und wegen unerlaubten Handeltreibens angeklagt war.
Wir trafen uns alle um 8.45Uhr vor dem Gerichtsgebäude. Ungefähr 15 Minuten später nahmen wir im Gerichtssaal Platz und der Angeklagte betrat unter Aufsicht von zwei Polizisten und in Begleitung seiner Anwältin den Gerichtssaal, in dem schon die Richterin, zwei Schöffen, der Protokollant, die beisitzende Richterin, die Staatsanwältin und ein psychologischer Gutachter warteten. Der Angeklagte war sichtlich irritiert, als er sah, dass eine Schulklasse anwesend war, um den Prozess mitzuverfolgen.
Wie im Fernsehen begann es damit, dass die Staatsanwältin die schon oben erwähnte Anklage verlas (man erfuhr zusätzlich, dass in seiner Wohnung 92 Plomben Heroin (ca.414g) im Wert von ca. 4000€ sichergestellt wurden.) und die Richterin die Personalien des Angeklagten aufnahm, ihn über seine Wahrheitspflicht belehrte und in fragte, ob er selbst Angaben zur Sache machen wolle. Er bejahte und die nächsten zwei Stunden wurden damit verbracht, seinen Lebenslauf inklusive seiner „Drogenkarriere“ bis zur Inhaftierung im August 2005 bis ins kleinste Detail in Erfahrung zu bringen und mit den der Richterin vorliegenden Unterlagen zu vergleichen.
Da der Angeklagte Massimo I. sehr leise, undeutlich und in relativ schlechtem Deutsch erzählte, musste die Richterin immer wieder nachfragen, was die ganze Verhandlung natürlich in die Länge zog...
Nach einer kleinen Pause wurden einige Zeugen in den Saal gerufen, wie z.B. der sachbearbeitende Polizist, der über die Hintergründe der Tat berichtete, über Hinweise darauf, ob der Angeklagte vorhatte, die Drogen weiterzuverkaufen und über die Wohnungsdurchsuchung, bei der das Heroin beschlagnahmt worden war.
Da Massimo I. auffallend viele teure Elektrogeräte besaß, obwohl er seit Jahren schlecht bezahlte Jobs hatte und sogar immer wieder zeitweise arbeitslos war, wies das natürlich auf eine Bestätigung des Anklagevorwurfs der Dealerei hin. Doch die Frage der Richterin, ob er besagte Geräte mit Drogengeldern finanziert habe, verneinte er.
Der zweite Zeuge (auch ein Polizist) erzählte außerdem, dass während der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten ein Mann namens Francois L. bei Massimo I. auf dem Handy anrief, dessen Wohnung dann im Anschluss auch noch durchsucht wurde. Es war nichts zu finden, doch merkwürdigerweise verriet Francois L. der Polizei, dass er nichts mehr im Haus habe und gerade auf eine neue „Lieferung“ von Massimo I. gewartet habe. Diese Aussage war wiederum belastend für den Angeklagten.
Auf den eben genannten Kunden und „Freund“ des Angeklagten wurde dann aber als Zeuge verzichtet.
Die dritte und letzte Zeugin war die Verlobte des Angeklagten, was vor allem für mich, da ich in der ersten Reihe auf einem Platz saß, von dem aus man alles sehr genau beobachten konnte, ein sehr emotionales Ereignis war, denn der Angeklagte saß seit 7 Monaten in Untersuchungshaft und durfte während dieser Zeit aus mir unbekannten Gründen keinen Besuch empfangen. Das bedeutet, die Beiden sahen sich nach so langer Zeit an diesem Tag das erste Mal wieder...
Er zwinkerte ihr zu und lächelte sie mit Tränen in den Augen an.
Sie nahm ihr Aussageverweigerungsrecht in Anspruch und setzte sich zu uns ins Publikum, um weiter zuzuschauen.
Nach einer weiteren kleinen Pause trug der Psychologe sehr ausführlich sein Gutachten vor, in welchem er erörterte, ob der Angeklagte nun „süchtig“ im medizinischen Sinne sei oder nicht. Alle von ihm genannten Kriterien sprachen eindeutig dafür, dass eine Suchterkrankung vorlag, allerdings betonte er auch, dass ansonsten keine weiteren psychischen Erkrankungen zu diagnostizieren seien.
Zusätzlich erörterte er für das Gericht die Möglichkeiten einer Unterbringung (Therapie etc. vor, während oder nach der Haft) und den so genannten Symptomwert der Tat, was heißen soll: Inwieweit hängt die Abhängigkeit/Sucht des Angeklagten mit dem Motiv der Tat zusammen?
Der Gutachter sagte, es sei auszuschließen, dass es sich in diesem Fall um Beschaffungskriminalität handle, da der Angeklagte im Besitz von vielen Dingen sei, die er hätte verkaufen können (s. Elektrogeräte) um sich seinen Eigenbedarf zu finanzieren. Es gäbe also keinen triftigen Grund für die Dealerei, außer dem Wunsch nach mehr Geld.
Aber der Angeklagte sei zum Tatzeitpunkt sowohl unter Drogeneinfluss als auch unter dem Einfluss seines Substitutionsmittels Supothex gewesen, was zu berücksichtigen sei.
In seinem Fazit empfahl der Gutachter eine Therapie, da der Angeklagte auf Grund seiner Einsicht, Willensstärke und Bereitschaft gute Heilungschancen habe, und schloss damit seinen Vortrag ab.

Nach einer einstündigen Mittagspause verlas die Richterin die Akte des Angeklagten. Der Papierstapel war ca. 30cm hoch... Dementsprechend lange dauerte es, bis seine ganze Straftatenliste, die von Schwarzfahren über Diebstahl, Urkundenfälschung, Hehlerei und Einbruch bis hin zu unerlaubtem Drogenbesitz jeder Art reichte, komplett vorgetragen war.
Nach ca. einer Stunde wiederholte die Staatsanwältin die Anklage, nahm Stellung zum Verlauf der Verhandlung und stellte dann den Antrag auf fünf Jahre Freiheitsstrafe. (Ihrer Aussage nach war das die Höchststrafe; sie sagte, das Strafmaß reiche von einem bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug ohne Bewährung.)

Die Rechtsanwältin konterte mit einem 30-minütigen Plädoyer, das mit vielen guten Argumenten für eine Strafmilderung gespickt war. Beispielsweise betonte sie, dass ihr Mandant nur eine solch große Menge Heroin gekauft habe, weil sein eigener Dealer für einige Monate verreisen wollte und er sich deshalb einen Vorrat habe zulegen wollen. Ein anderes Argument war die schlechte Qualität des „Stoffs“, wegen der Massimo I. einen höheren Verbrauch als üblich gehabt hätte, um seine Sucht zu befriedigen. Schlussendlich stellte sie aber überraschenderweise keinen konkreten Antrag, sondern ließ es im Ermessen des Gerichts, wie hoch die Strafe liegen solle. Dennoch erwähnte sie, dass der Antrag der Staatsanwältin ihrer Meinung nach viel zu hoch gegriffen sei.

Die Richterin wies den Angeklagten darauf hin, dass er nun die Möglichkeit habe, noch etwas zu sagen, woraufhin er sich bei seiner Verlobten und seinen (nicht anwesenden) Kindern für alles entschuldigte, Besserung versprach und anfing zu weinen... Ausgerechnet diesen Satz verstand die Richterin wieder nicht und er musste ihn noch einmal wiederholen, was ihm sichtlich schwer fiel.
Dann zog sich das Gericht zur Urteilsfindung zurück.
Die Zeit in der Wartehalle kam mir diesmal vor wie eine Ewigkeit, ich war total gespannt wie die Sache ausginge und drückte die Daumen, dass das Urteil nicht allzu hart ausfallen würde, da wir in den Pausen vorher sogar die Gelegenheit hatten, mit der Verlobten zu reden und dadurch baute sich in gewisser Weise ein „Bezug“ zu den Beteiligten und auch etwas „Mitleid“ mit dem Angeklagten auf...
Eine halbe Stunde später wurden wir endlich wieder in den Saal gerufen und die Richterin verkündete „im Namen des Volkes“ folgendes Urteil:
Vier Jahre Freiheitsstrafe ohne Bewährung!
Es folgte noch eine kurze Begründung, welche eine „Mischung“ aus den Argumenten von Staatsanwaltschaft und Verteidigung darstellte, dann wurde die Verhandlung geschlossen.
Daraufhin spielte sich noch eine (in meinen Augen) ergreifende Szene ab: Die Verlobte Beate P. durfte Massimo I. in die Arme schließen und er bekam wieder Tränen in die Augen... Ich selbst übrigens auch.

Womit wir bei meinem Fazit wären:
Es war sehr informativ zu sehen, wie so eine Verhandlung in der Wirklichkeit abläuft, eben im Gegensatz zu den Fernsehshows ohne Geschrei und Beschimpfungen und vor allem um einiges zeitaufwendiger (der Prozess dauerte von 9-16Uhr).
Außerdem finde ich es erstaunlich, wie kühl und neutral die Richterin und die Staatsanwältin geblieben sind. Ich wäre dazu nicht in der Lage gewesen, vielleicht bin ich dafür auch einfach zu sensibel...
Jedenfalls Respekt an dieser Stelle für eine solche Selbstbeherrschung!


Annika Krämer, 11c