Als deutscher Lehrer auf der Krim

Eine Schule in Simferopol - einmal von innen erlebt.

In der Partnerschaft zwischen dem Ludwig-Frank-Gymnasium und der Schule Nr. 24 in Simferopol ist in den Jahren 2003/2004 durch den Austausch von Hospitationslehrkräften ein neues Kapitel aufgeschlagen worden.
 

Hospitationslehrerinnen am LFG 2003 Tatjana Artamonova u. Olga Golubova

Gemäß dem Partnerschaftsvertrag der Schulen vom September 2001 gibt es einen jährlichen Schüleraustausch, der 2004 die vierte Begegnung zwischen Jugendlichen aus Deutschland und der Krim erlebt. Daneben ist aber auch der Austausch von Lehrkräften beider Seiten und ihren Erfahrungen vorgesehen, weshalb im Jahr 2003 zwei Lehrerinnen der Schule Nr. 24, und zwar Olga Golubova (Februar bis April) und Tatjana Artamonova (November) Gäste des LFG Mannheim und zeitweilige Bürgerinnen von Handschuhsheim waren. Zur Erwiderung dieser Aufenthalte wurde der Verfasser des vorliegenden Artikels, selbst Russischlehrer am LFG, Vorstandsmitglied im Stadtteilverein und Initiator der Schulpartnerschaft, vom Schulleiter Jürgen Hahn vom 8. bis zum 29. Mai 2004 als Austausch- und Hospitationslehrer an die Schule Nr. 24 auf die Krim entsandt. Den Eindrücken des Aufenthalts und der Arbeit an der ukrainischen Schule entspringen die nachfolgenden Gedanken, die bei aller Gemeinsamkeit vor allem von der Andersartigkeit einer ukrainischen Schule Zeugnis ablegen will.

Eine Kaderschmiede für Deutsch

Schule Nr. 24 Simferopol/Krim/Ukraine

Die Schule Nr. 24 liegt lauschig in einem Park am Salgir, dem größten Fluss der Krim, und außer seinem Rauschen und dem Rauschen der vielen Pappeln ringsum hört man nur Kinderlärm; Verkehrslärm stört also den Schulbetrieb nicht. Die Schule hat ca. 850 Schüler und etwa 60 Lehrer, was in der Ukraine fast soviel wie Lehrerinnen heißt, da es nur eine Handvoll männlicher Kollegen gibt. Die Verteilung der Geschlechter spiegelt also eher eine deutsche Grundschule, denn ein deutsches Gymnasium wider, wo der Männeranteil höher liegt. In der Tradition steht die Schule in der der ehemaligen Spezialschulen, da es in der Sowjetzeit sogenannte "Spezschkoly" für verschieden Profile, vor allem Fremdsprachenprofile gab. Umgangssprachlich bezeichnet man deshalb solche Schulen in der Stadt als die "englische" oder die "deutsche" Schule. Der Schüleraustausch und die Schulpartnerschaft mit dem Ludwig-Frank-Gymnasium Mannheim hat dem Fach Deutsch an der Schule einen enormen Auftrieb gegeben. Die teilnehmenden Schüler haben ihre sehr guten Kenntnisse in Deutschland weiter verbessern können, die Schule wurde vom Pädagogischen Austauschdienst in Bonn in das Programm zur Hinführung zum Deutschen Sprachdiplom aufgenommen, und seit dem Jahr 2003 wurde der Schule der deutsche Austauschlehrer Reinhard Böhm zugeteilt, der nun bereits im zweiten Jahr die Oberstufenschüler auf das Sprachdiplom vorbereitet. Damit gehört die Schule Nr. 24 zu den drei Schulen auf der Krim, die diesen verstärkten Deutschunterricht aufweisen: neben ihr gibt es nur noch jeweils eine solche Schule in Jevpatorija und Sewastopol. Der Ruf einer Prestigeschule hat dazu geführt, dass die Schule Nr. 24 einen großen Zulauf aus einem Einzugsgebiet weit über die Stadtgrenzen hinaus hat, wobei eine große Zahl von angemeldeten Kindern jährlich abgewiesen werden muss.

Deutsch von Anfang an

Anfängerunterricht Deutsch 2. Klasse

Gelernt wird Deutsch bereits ab der 1. Klasse, da es kein dreigliedriges Schulsystem wie in Deutschland gibt. Alle Schüler gehen in die (ehemals sowjetische) allgemeinbildende elfjährige "mittlere" Schule, was aber keinesfalls mit dem Begriff der deutschen "Mittelschule" oder "Mittleren Reife" zu verwechseln ist. Es bedeutet, dass ein Schüler hier den "mittleren" Bildungsabschluss (entspricht dem deutschen Abitur) erwirbt, mit dem er eine "höhere" Lehranstalt (Universität, Fachhochschule, Institut) besuchen kann. Von dieser Schule ist also die Grundschule nicht abgetrennt, sondern integriert.

Die Kinder der ersten Klasse lernen natürlich nach ihrer Einschulung das Lesen und Schreiben in ihrer Muttersprache, d.h. sie erlernen das kyrillische Alphabet. Gleichzeit beschäftigen sie sich aber schon spielerisch mit der deutschen Sprache, lernen Lieder, Abzählreime und grundlegenden Wortschatz, wobei sie aber nur Sprechen und Hören. Erst in der zweiten Klasse lernen sie das lateinische Alphabet, das sie bis zum Schuljahresende mit dem "y" abschließen, und dadurch können sie bereits ab der zweiten Klasse in Deutsch Lesen und Schreiben. Das Fach Deutsch wird also an der Schule Nr. 24 ganze 11 Jahre unterrichtet. Natürlich führt das dazu, dass begabte und lernwillige Kinder im Laufe ihrer Schulzeit ausgezeichnete Leistungen im Fach Deutsch erbringen.

Wer zahlt das Mobiliar?

Neue Bänke werden im Team zusammengebaut

Natürlich werden die aufzunehmenden Kinder einer sachlichen Leistungsfeststellung unterworfen. Dennoch scheinen Familien mit guten Einkommensverhältnissen gut repräsentiert zu sein, da sie natürlich als aufsteigende Schicht sehr darum bemüht sind, dass ihre Kinder die beste Ausbildung genießen und den sozialen Aufstieg in ihrem eigenen Leben halten oder ausbauen können. Es gibt sogar Familien, die die Schule 24 einer mittlerweile ebenfalls eröffneten Privatschule vorziehen. Andererseits profitiert natürlich die Schule von solchen einkommensstarken Familien, da diese die Schule finanziell unterstützen und für Bedürfnisse aufkommen, die die Kommune nicht befriedigen kann. Während meines Aufenthalts im Mai 2004 wurden von Eltern einer siebten Klasse auf eigene Kosten Schulbänke für das ganze Klassenzimmer angeschafft, die unter der begeisterten Mithilfe von Lehrerinnen und Schülern der Klasse selbst montiert wurden. Diese Zuwendungen erfolgen im Gegensatz zu Mitteln, die in Deutschland sogenannte Fördervereine den Schulen zur Verfügung stellen, in sehr direkter Weise, d.h. die Schule weiß sehr genau, von welchen Eltern was genau bezahlt wurde. Dies würde ich mir in Deutschland nur schwer vorstellen können, da natürlich auch bei Versetzungsentscheidungen das Lehrergremium genau weiß, was die jeweiligen Eltern für die Schule alles getan haben. Eine gewisse Befangenheit bei den anstehenden Beschlüssen wäre hierzulande sehr wahrscheinlich. Dass es in der Ukraine damit weniger Probleme gibt, liegt wohl an der Tradition in dieser Hinsicht; vielleicht spielt es aber auch eine Rolle, dass Schüler in der Regel ohnehin nicht sitzenbleiben können. Selbst mit spärlichen Leistungen werden in der Regel die 11 Schuljahre, oder neun Schuljahre mit Wechsel auf eine Berufsschule durchlaufen (s.u). Für die Schule ist das Sponsoring also ein sehr erwünschtes Phänomen, obgleich man im Falle der Schule 24 feststellen muss, dass sie vom Gemeinderat des Stadtteils Kiewskij Rayon unter Bürgermeister Leonid Sawenko im Vergleich zu anderen Kommunen oder anderen Schulen viel finanzielle Unterstützung erfährt. Als Beispiel dafür seien die Fassadenrenovierung durch die Stadt und die Zusage Sawenkos genannt, der Schule nicht nur eine zu den vom LFG geschenkten Computern eine eigene Computerklasse für ITG und einen Internetanschluss sowie dessen laufenden Betrieb zu finanzieren.

Wehrkunde auf der Tagesordnung

Schießen üben - für Mädchen freiwillig

Als Kuriosum im ukrainischen Schulsystem möchte ich noch den für Jungen obligatorischen Wehrkundeunterricht erwähnen, an dem auch Mädchen teilnehmen können, wenn sie sich dafür schriftlich anmelden. Andererseits können Jungen aus ethischen, religiösen u.a. Gründen von diesem Wehrkundeunterricht befreit werden. Die Schüler treffen sich in einer Wochenstunde zu diesem Unterricht und werden in Notfallmaßnahmen unterwiesen, die im Katastrophen- oder Kriegsfall nötig sind. Auch über Armee und deren Ausrüstung bis hin zu den Waffengattungen werden sie informiert. Mit einem Luftdruckgewehr führen sie an der Schule Schießübungen durch und einmal am Ende des Schuljahres rücken sie mit ihrem Fachlehrer, an der Schule Nr. 24 ein pensionierter Offizier, zum Schießen in einen militärischen Bereich der Stadt ein. Die Wehrpflicht für Jungen, die sich an die Schulausbildung anschließt, beträgt 18 Monate.

Sitzenbleiben ist abgeschafft

Schulleiterin Natalja Malenko

Ein auffälliger Unterschied zu den deutschen Schulen ist die Tatsache, dass es hierzulande praktisch kein Repetieren der Klasse gibt. Selbst Kinder mit schlechten Noten in einzelnen Fächern, was etwa 2 bis 3 Punkte in einer 12-Punkte-Skala entspricht, werden mit diesen schlechten Noten in die nächst höhere Klasse versetzt. Allerdings setzt sich die Schulleitung mit den Eltern von notorisch schlechten Schülern in Verbindung und legt diesen den Schulaustritt, d.h. das Überwechseln in eine Berufsschule oder in ein Technikum nahe, was nach der 9. Klasse mit Abschlussprüfung solche Schüler ohnehin machen. Findet ein Schüler am Jahresende seine Note in einem Fach ungerecht, kann er an die Schule appellieren, die einen Prüfungsausschuss für ihn bildet, dem auch sein Fachlehrer angehört. Diese Kommission prüft den Schüler in einer eigens anberaumten mündlichen Prüfung und setzt gegebenfalls eine neue Note fest, was in der Praxis nicht so häufig vorkommt. Einmal sind die Lehrkräfte mit der Erteilung von schlechten Noten vorsichtig, da schlechte Schülerleistungen zum Teil auf sie selbst zurückfallen. Andererseits wissen die Schüler, dass in den Prüfungskommissionen keine große Bereitschaft vorhanden ist, einen Lehrer der Schule bloßzustellen. 

Konferenzen, Konferenzen

Gesamtlehrerkonferenz Mai 2004

Im Gegensatz zu einer deutschen Schule findet jeden Freitag um 13 Uhr eine Gesamtlehrerkonferenz statt, auf der die anstehenden Fragen diskutiert und abgestimmt werden, die die Ausgestaltung des Schulbetriebs betreffen. Allerdings gibt es im Laufe des Jahres sicher nicht so viel Grundlegendes zu diskutieren, als dass man hier stundenlang tagen müsste. Die von mir besuchten Konferenzen dienten eher der Information der Kolleginnen und Kollegen, über die Formalitäten der anstehenden Schulabschlussprüfungen sowie die maßstabsgerechte Planung der feierlichen Linejka, der Schulabschlussveranstaltung. Viele dieser Informationen wurden ohnehin an den Informationsbrettern ausgehängt, wobei jedoch alle teilnehmenden Lehrkräfte auf die Beachtung dieser Bretter und ihrer Aushänge eingeschworen wurden. Bitter sind diese Veranstaltungen für diejenigen Lehrer, die aufgrund des Zweischichtbetriebes zur Mittagszeit am Freitag nicht in der Schule sein müssten und die deshalb immer extra erscheinen müssen, während die Kollegen mit Dienstverpflichtung an diesem Freitag ohnehin im Hause sind. An einer deutschen Schule würde dieser Punkt innerhalb des Kollegiums sicher zu einigem Unmut führen.

Die Zukunft des Faches Deutsch

Im Deutschkabinett

Versuchen wir ein Fazit über die Schule Nr. 24 mit erweitertem Deutschunterricht zu ziehen. Die Schule hat sich in den letzten drei Jahren im Zusammenhang mit den beschriebenen Kontakten nach Deutschland gut positioniert und unter der Schulleiterin Natalja Malenko, die diese Verbindungen zu nutzen weiß, einen erfolgreichen Weg eingeschlagen. Das kann man nicht nur daran sehen, dass viele Schüler die Aufnahme in die Schule suchen, sondern dass auch nach Jahren, in denen Lehrerinnen lieber in andere, gewinnbringende Berufe abgewandert waren, heute ein Zulauf an frisch ausgebildeten Deutschlehrerinnen besteht, die teilweise sogar mit russischem Pass auf die Krim kommen, um in diesem Beruf arbeiten zu können. Günstig für die Schule ist die Tatsache, dass Berufsanfänger in der Regel noch viel besser formbar und fortbildbar sind als ältere Kollegen mit langjähriger Berufsroutine, was sich auf die Methodik und Didaktik des Fremdsprachunterrichts positiv auswirkt. Sowohl die Hospitationslehrerinnen, die am LFG Mannheim hospitiert haben und die sich in Seminaren in Deutschland und der Ukraine weiterbilden lassen, als auch diejenigen, die mit dem erwähnten Lehrer aus Berlin im Tandem unterrichten, haben längst die veralteten Paukmethoden der Vergangenheit abgelegt und unterrichten mit neuen Medien und neuen Arbeitsformen, wie Gruppenarbeiten und Präsentationen beweisen. Hierin wachsen sie mit den westlichen Schulen weiter zusammen. 

Gruppenarbeit in Deutsch

Auf der anderen Seite wächst auch der Erfahrungsaustausch der deutschen Lehrer, die mit den ukrainischen Kollegen zusammenarbeiten. Und schließlich haben deutsche Schüler, die Russisch lernen, dadurch die Gelegenheit, ihre Kenntnisse in russischer Sprache und osteuropäischer Kultur zu vertiefen. Für 2004 und 2005 sind weitere Projekte geplant: eine gemeinsame Schülerzeitung im Netz und vielleicht eine Reise von LFG-Lehrkräften zum Erfahrungsaustausch auf die Krim. Somit können die an diesen Kontakten Beteiligten beim Umgang miteinander nur gewinnen. (Fotos/Text: Gn)