Theaterkritik: Linie 1
„Bitte zurücktreten! Es fährt ein am LFG: Linie 1…’’ 
Das neue Fach „Literatur und Theater“, das seit dem Schuljahr 2008/2009 am Ludwig-Frank-Gymnasium angeboten wird, feiert mit seinem Theaterstück ,,Linie 1’’ Premiere. Die aktuelle Jahrgangsstufe 13 hat mehr als ein Jahr auf diesen Zeitpunkt hingearbeitet und musste dabei mit vielen Herausforderungen kämpfen. Doch die Arbeit hat sich gelohnt!
Berlin, Bahnhof Zoo – 6.14 Uhr: Nathalie, ein junges Mädchen vom Land, träumt von der großen Liebe und flüchtet Hals über Kopf von zu Hause nach Berlin. Dort will sie ihren ,,Traumprinzen’’ mit Namen Johnny finden. Als sie jedoch in der gefährlichen Großstadt ankommt, trifft sie dort sogleich auf allerlei Menschen, jedoch nicht, wie erhofft, auf ihren Johnny. Auf der Suche nach ihm steigt sie in die U-Bahn-Linie 1 und die Reise durch Berlin beginnt. Sie begegnet allerlei Menschen, die aus verschiedensten Kulturen und sozialen Schichten stammen, und nimmt teil an deren Schicksalen. Sie muss bald feststellen, wie hemmungslos hart das Leben in einer Metropole ist…
Keiner kümmert oder interessiert sich für den Anderen; Schicksale werden teilnahmslos hingenommen oder einfach ignoriert - der Mensch ist völlig auf sich allein gestellt in einer Welt, in der jeder nur die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen bereit ist. Menschen werden aufgrund ihrer Hautfarbe und ihrer Nationalität diskriminiert und als minderwertig angesehen; die Gesellschaft hat keinerlei Interesse, geschweige denn Anerkennung übrig für das Individuum und für dessen Wert als Mensch. Diejenigen, die entweder wegen ihrer Abstammung oder ihrer Schulbildung in den Augen der Gesellschaft nutz- und so auch wertlos sind, werden auf ein Abstellgleis verfrachtet und nicht mehr abgeholt, was man am Beispiel der Selbstmörderin erkennen kann. 
Die anfängliche Euphorie der Ausreißerin über die spannende Stadt, in der sie hoffte, Johnny zu treffen und mit ihm ein neues Leben zu beginnen, schwindet. Sie erkennt, wie gnadenlos das reale Leben ist, unter dessen schützendem Dach sie bis jetzt etwas naiv und blauäugig stand. Sie erkennt aber auch zudem, dass, trotz all ihrer Verschiedenheiten, all diese Menschen insgeheim- bewusst oder unbewusst- denselben Wunsch haben: Gesehen und geachtet zu werden, und das nicht nur als lebender „Roboter“, der allein einen Nutzen für die Allgemeinheit darstellt, sondern als Mensch- mit all seinen Gefühlen, Gedanken, Fehlern und Problemen; ungeachtet der Hautfarbe oder der Religion.
Letztendlich findet sie tatsächlich Johnny…
Und erkennt, dass er nicht der ist, den sie sucht. Sie erkennt, dass sie ihm nicht das bedeutet, was er ihr bedeutet. Und noch wichtiger: sie erkennt, dass er für sie doch nicht das ist, was sie gehofft und sich selbst eingebildet hatte. Der arme Junge im Mantel, den sie auf ihrer Suche nach Johnny kennen gelernt hat, ist hingegen derjenige, der sie versteht und der wirklich das ist, was er zu sein vorgibt. Sie umarmen sich und die Suche ist vorbei. Nathalie ist angekommen.

Die Inszenierung des Musicals, das 1986 in Berlin uraufgeführt wurde, war eine riesige Herausforderung für den neu eingeführten Theaterkurs, der sich unter Leitung von Lucia Laier (Regie) und Theo Schaumlöffel (Musik, Gesang) zunächst daran machte, die ursprünglich etwa dreieinhalb Stunden lange Musicalversion in ein angemessenes zeitliches Format zu bringen.

Es galt, dreieinhalb Stunden zu kürzen, ohne dabei den roten Faden abreißen zu lassen oder auf Kosten des Inhalts zu verfahren. Einige Lieder wurden weggelassen, Texte von den Schülern gekürzt und z.T. eigenständig überarbeitet.
Heraus gekommen sind schließlich etwa zwei Stunden, in denen der Zuschauer nicht im Geringsten das Gefühl bekommt, etwas von der Handlung verpasst zu haben. Der ,,rote Faden’’ ist auch nach der Kürzung völlig erhalten geblieben; die Texte wirken authentisch und an keiner Stelle unpassend und schon allein dafür hat die Theatergruppe großen Respekt verdient.
Auch die Musik muss an diesem Punkt gelobt werden. Die Live- Band, die durch das ganze Stück führt, steht in völliger Harmonie zu den Akteuren und dem Geschehen auf der Bühne. Live- Musik in Verbindung mit den ausrucksstarken Texten der Lieder verleiht diesem sehr musikalischen Stück eine besondere Note und verstärkte den Eindruck des Ganzen auf den Zuschauer. Das Bühnenbild, dass durch die örtlichen Gegebenheiten eher einfach gehalten werden musste, wird durch die authentischen Umgebungsgeräusche einer beispielsweise bremsenden U-Bahn an Realitätstreue perfekt ergänzt und schafft beim Zuschauer das Gefühl, sich wirklich in einer U-Bahn zu befinden. Die virtuelle Sightseeingtour, die kurz vor dem Aufeinandertreffen von Johnny und Nathalie eingefügt wurde, bewirkt neben dem Witz der Szene als solche ein Erstaunen beim Zuschauer, da das wirklich ein imponierender und unerwarteter Medieneinsatz ist, der durch seine Außergewöhnlichkeit einen weiteren Akzent in dem Stück setzt.
Die Schauspieler, die zum großen Teil erst mit Beginn dieses Projekts zu solchen wurden, überraschen und beeindrucken jedoch am Meisten: Sie spielen ihre Rollen glaubwürdig, verkörpern den Charakter, den sie spielen, sehr gut und wirken trotz ihrer geringen Bühnenerfahrung nicht verloren, unbeholfen oder unsicher auf dieser. Außerdem gab es zu Beginn wenige Akteure, die singen konnten. Nein, nicht einmal annähernd alle konnten singen, doch sie haben es alle gelernt und alle haben sie gesungen; ausnahmslos. Es kostet einiges an Mut, singen zu lernen und das dann auch wirklich auf einer Bühne, wenn auch in einer Gruppe, vorzutragen. Jedoch haben es alle in Angriff genommen und allesamt waren sie erfolgreich. Meiner Meinung nach gebührt ihnen dafür einiges an Achtung. 

Alles in allem bleibt zu sagen, dass die mehr als 35 Personen, die bei der Umsetzung dieses Vorhabens mitgewirkt haben, volle Arbeit geleistet haben. Sie haben aus einem Musical, das im Original mehr als drei Stunden spielt, eine gekürzte Version erarbeitet, die - so glaube ich -  in ihrem Inhalt, ihrem moralischen Wert und ihrer Musikalität dem Original in Nichts nachsteht. Die Schauspieler waren authentisch, souverän und setzten die großartige Vorlage auf dem Papier in ein großartiges Theaterstück auf der Bühne um; die Reaktionen waren von allen Seiten positiv, und so meine ich, sagen zu können, dass unsere Schule, das Ludwig-Frank-Gymnasium, stolz sein kann auf seine Schüler und seine Lehrer, ohne deren Engagement das nicht möglich gewesen wäre.

Vielen Dank dafür und Ehre wem Ehre gebührt: Allen Beteiligten, die Linie 1 zu einem solchen Musicalerfolg gemacht haben und natürlich insbesondere noch einmal denen, ohne die nicht einmal der Ansatz möglich gewesen wäre:
Lucia Laier und Theo Schaumlöffel
Wir gratulieren zu Ihrem Erfolg und Ihrer tollen Arbeit!           

Larissa Vetter, 12