Biographie Charlotte Siesels

Am 20. Mai 1929 wurde Charlotte Siesel in Coesfeld im heutigen Nord-Rhein-Westfahlen geboren. Kurz nach ihrer Geburt zog ihre Familie nach Dortmund. Charlotte und ihre Schwester, Alice besuchten den nahe liegenden Kindergarten. Ihr Vater Walter arbeitete als Haus- und Gütermakler, während ihre Mutter Ida im Haus tätig war. Charlotte sagte später "wir hatten ein gutes und friedliches Leben. Dies änderte sich jedoch mit der "Machergreifung" der Nationalsozialisten im Frühjahr 1933.

Die Firma des Vaters wurde aufgelöst und somit der Familie die Existenzgrundlage entzogen. Deshalb zog die Familie auf der Suche nach neuer Arbeit nach Mannheim Neckarstadt in die Mittelstraße 14. Das Leben war nun nicht mehr so schön – die Wohnung war klein, der Vater musste lange und hart in seiner Mietwaschküche arbeiten. Langsam baute sich die Familie Siesel in Mannheim eine neue Existenz auf; der Vater kaufte sich zum Ausliefern der Kleidung ein neues Auto. Durch Fleiß, Redlichkeit, Humor und Güte gewann die Familie an Beliebt- und Bekanntheit in der Umgebung. Alles in allem nahm Charlotte Siesel die Ausgrenzung kaum wahr, obwohl der Hausherr ihrer Mietwohnung ein SS-Mann war. Charlotte besuchte in Mannheim einen katholischen Kindergarten, während ihre ältere Schwester schon in die Schule ging. Walter Siesel war mit dem Pfarrer der Gemeinde gut befreundet und sie spielten Skat oder Schach zusammen. So nahm Charlotte als jüdisches Kind sogar an Prozessionen teil.

Als Charlotte nun in die Luisenschule kam, besuchte sie eine Klasse nur für Juden, womit sie die Judenausgrenzung erstmals selbst erlebte. Die Mädchen vom BDM wollten nicht mit ihr spielen und die Jungs von der HJ liefen ihr nach und drohten ihr.

Mit der Reichspogromnacht hat die Familie erste massive Ausschreitungen gegen Juden erlebt. Im Vorfeld bekam die Familie Briefe aus der Nachbarschaft, die sie vor dem Kommenden warnen wollten. Die Gegenstände kamen zu Nachbarn und Charlotte und Alice wurden bei Bekannten versteckt.

In den darauf folgenden Tagen fand sich die Familie in ihrer unversehrten Wohnung wieder ein. Der Vermieterin, die sonst kein Mitleid für ihre jüdischen Mieter zeigte, war es zu verdanken, dass die Nationalsozialisten Halt vor der Wohnung gemacht hatten.

Ab dem 1. Dezember 1939 durften die Siesels weder ein Geschäft führen noch ein Auto haben. Der Vater verkaufte im Vorfeld jedoch das Auto und die Mietwaschküche, um wenigstens etwas Geld zu bekommen. Nun war also der Familie ein zweites Mal die Existenz genommen worden. Sie mussten ihre alte Wohnung aufgeben und in der Altstadt ein Zimmer mit mehreren Juden teilen. Der Vater, welcher sich zuvor eher als Deutscher denn als Jude empfand, stellte sich der jüdischen Gemeinde zur Verfügung und half im Jüdischen Altersheim. Alice, die große Schwester, wurde zu Verwandten nach England geschickt, um ihr ein besseres Leben zu ermöglichen.

Die jüdischen Lehrer in Charlottes Schule wurden immer weniger, da diese entweder deportiert oder inhaftiert worden waren. Ihr Hebräischlehrer zum Beispiel hatte keine Hoffnung mehr und erhängte sich. Die Väter vieler Schüler kamen nach Buchenwald oder Dachau ins KZ.

Am 22. Oktober 1940 veränderte sich Charlottes Leben grundlegend. Am Morgen wurde sie und ihre Familie von 3 Gestapo-Männern abgeholt und an den Mannheimer Bahnhof gebracht. Dort stiegen sie mit jeweils 50 kg Gepäck, 100 Mark und Proviant für einige Tage in einen Zug, wie viele andere badische Juden auch. Das Ziel des Zuges war ihnen unbekannt. Während der Fahrt wurden des Öfteren Menschen aus den Waggons geworfen. Von Oloron fuhr man die Juden auf Lastwagen nach Gurs. Dort trennte man die Frauen und Kinder von den Männern und Buben über 12 Jahren. Im Lager lebten sie unter schlimmen hygienischen Bedingungen und wurden katastrophal versorgt. Sie bekamen lauwarmen "Kaffee", täglich eine Brotration, die sogar für ein Frühstück zu wenig war, mittags Suppe und verdünnten Wein. Im ersten Monat starben 1000 der 6500 Internierten an der Ruhr. Mit der Zeit organisierte man sich. Jüdische Lehrer unterrichteten Schulklassen und die Kinder fanden den Weg zu ihren Vätern. Auch diese waren schmutzig, verlaust, vernachlässigt und hungerten. Charlotte und ihre Familie blieben bis etwa April 1941 in Gurs, dann ließen sie sich in das Familienlager in Rivesaltes transportieren. Auf dem Weg erkrankte Charlottes Mutter an der Ruhr und kaum im Lager angekommen trennte man die Familie wieder. Sie bekamen etwas mehr Essen und hatten etwas Ähnliches wie ein Bett und sogar Strohsäcke. Charlotte kam nach La Jonchere in ein Kinderhaus der OSE (Oeuvre Swiss Aux Enfants), wo man sie unterrichtete und sie ein Bett mit Decke und Bettzeug hatte. Sie erhielt täglich drei warme Mahlzeiten und vier Brotscheiben, von denen sie jeweils zwei an ihre Eltern nach Rivesaltes schickte. Doch trotz dessen vermisste sie ihre Eltern, und als sie und die anderen Kinder im August 1942 von Lastwagen abgeholt und nach Rivesaltes zurückgebracht wurden, freute sie sich sehr. Doch im selben Monat begannen die Transporte nach Auschwitz und auch Charlotte und ihre Eltern wurden in die Viehwagen geladen. Vor der Abfahrt kam das "Rote Kreuz" und versuchte Kinder aus dem Wagen zu reißen. Charlottes Vater stieß sie aus dem Wagen, da er wusste, dass sie dort besser aufgehoben war. Er schenkte ihr damit zum 2. Mal das Leben.

Die Retter erwiesen sich als jüdische Mitglieder der französischen Resistance. Sie versteckten Charlotte und ein gleichaltriges Mädchen abwechselnd bei zwei Familien in Grenoble, die die beiden wieder gesund pflegten.

Über einige Umwege kam Charlotte in die Schweiz, wo sie sich wieder mit ihren Eltern treffen wollte. Bis sie 15 Jahre alt war lebte sie bei Schweizer Bekannten, sah ihre Eltern jedoch nie wieder. Sie schloss sich der Jugend-Aliya an, lernte arbeiten, hatte sogar etwas Unterricht und wanderte nach dem Kriegsende im Mai 1945 sofort nach Israel aus. Dort schloss sie sich dem Kibbuz Elon an, wo sie ihren Mann Zwi Gesow kennen lernte. Ihm verdankte sie ihre geistige Genesung und ihren neuen Namen - Amira Gesow.

Ihr Mann motivierte sie wieder nach Deutschland zu reisen und von ihrer Geschichte zu erzählen. Mit der Zeit hat sie mit Deutschland ihren Frieden geschlossen und es sich zur Pflicht gemacht die Jugend zu informieren, damit so etwas nie wieder passiert.

 

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